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10 April 2007

Abtreibung und Vaterland

Es gibt vieles, was ich nicht mag. Zu den besonders unbeliebten Dingen zählen die Werbeanrufe in der Mittagszeit und die Werbebriefe, die nicht als solche zu erkennen sind. Neulich kam einer, den Robert Spaemann als Absender zeichnete. Richtig: das ist dieser etwas konservative Philosoph, der bis 1992 in München gelehrt hat und der noch 2001 den Karl Jaspers Preis der Stadt Heidelberg erhielt (Wikipedia). Spaemann also unterschreibt einen Brief der „BIRKE Schwangerschaftskonfliktberatung e.V.“; vielleicht hat er ihn gar selbst formuliert. Das wäre allerdings ein Armutszeugnis ob der argumentativen Löcher in dem Machwerk. Schon über den Betreff könnte man länger sinnieren: „Schutzengel gesucht – bitte retten Sie das Leben unschuldiger Kinder“. Ist das Leben „unschuldiger Kinder“ mehr wert als das „schuldiger“?

In dem Brief geht’s um Geld, natürlich. BIRKE möchte meines, auf dass ich teilhabe an ihren guten Werken. Diese Werke sind, im Unterschied zum Namen des Vereins, aber keine echte Schwangerschaftsberatung nach § 218, die „ergebnisoffen“ geführt werden muss. Darum kann BIRKE auch nicht den gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsschein vergeben, denn eine Frau braucht, wenn sie abtreiben lassen möchte. Oder in Spaemanns Worten:
Der außerordentliche Erfolg der BIRKE beruht darauf, daß diese hochprofessionell betriebene Schwangerschaftsberatung im Konfliktfall die Abtreibung als Alternative überhaupt nicht ins Auge fasst.

Was das für die Frauen heißen kann, die sich zu BIRKE verirren, hat Barbara Ritter im linken Periodikum Der rechte Rand schon 1994 beschrieben (Quelle).

SPAEMANNS ARGUMENTATION
Aber zurück zum Anfang des Briefes. Die Argumentation läuft ungefähr so: Warum gibt es in Deutschland so wenige Kinder? (Wir erinnern uns: der demografische Wandel führt zur Vergreisung der Republik.) Na: weil so viele abgetrieben werden:
Ehrlich und richtig wäre zu fragen: Warum überleben in unserem Land nur so wenige Kinder die Schwangerschaft? Kinder gibt es nämlich genug. [...] Während alle über die demographische Krise diskutieren, werden jedes Jahr mitten unter uns hunderttausende Kinder noch im Mutterleibe getötet.

Die Politiker leugneten diesen Zusammenhang: das sei ein „schrecklicher Mangel an Ehrlichkeit“! Wie ehrlich ist Spaemann mit seinen Behauptungen? Wenn man sich mal fragt, welche Zahlen eigentlich hinter seinen Behauptungen stehen, findet man folgendes in frei verfügbaren Quellen. 2005 wurden etwa 120.000 Abtreibungen vorgenommen (Quelle: Wikipedia: Daten beruhen auf denen des Statistischen Bundesamtes). Im gleichen Jahr wurden 686.000 Kinder in Deutschland geboren (Quelle: FAZ.net): auf rund 6 geborene Kinder kommt also eine Abtreibung. (Das ist deutlich mehr, als ich gedacht hätte. Aber das rechtfertigt beileibe nicht die Formulierung, warum „nur so wenige Kinder die Schwangerschaft überlebten“. „Wenige“ klingt für mich so, als wenn mehr Kinder in der Schwangerschaft stürben als geboren werden.)
Würden 120.000 nicht vorgenommene Abtreibungen reichen, um die demografische Lücke zu füllen?
Die Geburtenrate ist seit Jahren um die 1,4, müsste, damit die Bevölkerungszahl konstant bleibt, aber bei 2,1 liegen. Wenn 686.000 Geburten einer Geburtenrate von 1,4 entsprechen, dann entsprechen 980.000 Geburten einer Geburtenrate von 2,1. Fehlen also rund 300.000 Geburten, nicht 120.000. Vielleicht hat ja Spaemann daran gedacht, den Rest durch Zuwanderung auszugleichen. Doch setzt sich der demografische Wandel (hier Informationen zur prognostizierten Bevölkerungsentwicklung des statistischen Bundesamtes) fort, wird die Zahl der Sterbefälle immer deutlicher die der Geburten übersteigen: a) weil immer mehr Menschen alt werden, b) weil immer weniger Frauen im mutterschaftsfähigen Alter sind. Spaemanns Rechnung wird darum in immer größerem Maße falsch sein.

MORALPHILOSOPHISCHER BLICK AUF DIE ARGUMENTE
Moralphilosophisch betrachtet ist mir die Argumentation in mehrerlei Hinsicht äußerst unsympathisch.
1. missfällt mir die Indienstnahme der Ungeborenen für das „Vaterland“ (Spaemann). Der demografische Wandel mag ein gesellschaftliches Problem sein, aber er liegt für mich in einer völlig anderen Kategorie als Leben und Tod von Individuen. Ganz sicher würdigt es diese herab, wenn sie geboren würden um den demografischen Wandel aufzuhalten.
2. Spaemann schreibt suggestiv stets von „Kindern“. Damit setzt er das Menschenbild der Katholischen Kirche voraus: die Menschwerdung ab der Empfängnis. Über dieses wird zu Recht gestritten.
3. BIRKE nimmt den betroffenen Frauen die Entscheidung aus der Hand. Die Annahme, schon zu wissen, was für andere das richtige ist, ist mir ebenfalls unsympathisch. Sie beruht hier natürlich darauf, dass das Ziel, die Ungeborenen zu „retten“ alles andere in den Schatten stellt. Das übersieht aber bewusst, dass ein geborenes Kind sicher besser lebt, wenn es ein erwünschtes ist. Und die Behauptung, BIRKE würde Frauen davor bewahren „ihr eigenes Leben für immer zu schädigen, durch die Last, die es bedeutet, ein ungeborenes Kind getötet zu haben“, fragt nicht danach, welche Last dadurch entstehen kann, ein ungewolltes Kind bekommen (und dann mit ihm leben) zu müssen.

Dafür also soll ich Geld geben. Dafür kann Spaemann auch mir etwas versprechen:
Wenn der eine oder andere dieser jungen Menschen [denen BIRKE mit meinem Geld geholfen hätte] eines Tages den Geber allen Lebens [=Gott] entdecken und ihm für sein Leben danken wird, dann wird dieser Geber den empfangenen Dank mit denen teilen, die ihm bei der Rettung dieses Lebens behilflich waren.

Auch das ist mir unsympathisch: dass sich die gute Tat gleich auszahlt. Und schließlich: die Bereitschaft, mit der Spaemann einen Zusammenhang zwischen Abtreibung und Vaterland herstellt, ist vermutlich dieselbe, die ihn dazu veranlasst hat, der Jungen Freiheit ein Interview zu geben, übrigens eines, das auch auf den Webseiten der BIRKE zu lesen ist. Die Junge Freiheit ist ein Blatt, das, wie Wikipedia geschickt formuliert, „einzelne Politologen ... als Sprachrohr der sogenannten Neuen Rechten [bezeichnen], das eine Scharnierfunktion zwischen demokratischem Konservativismus und extremer Rechte einnehme“.

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