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29 November 2007

Bloch-Bildband

Suhrkamp hat Ernst Bloch einen großzügigen, schönen Bildband spendiert, bearbeitet von Karlheiz Weigand, 2007. Die Ikonographie Blochs erhält damit ein neues Profil. Das Bild von einer privaten Theateraufführung mit Bloch im Kostüm etwa, oder der junge Adorno: ohne Glatze und mit Schnäuzer --
Der Band ordnet sein Material chronologisch und ist damit auch eine biographische Fundgrube. Kenntnisreich kommentiert.

28 November 2007

René Vallin -- eine Recherche

Dies schlummerte schon etwas in meiner Schublade:

Boethius' Consolatio Philosophiae (= "Trost der Philosophie" ist ein philosophischer Longseller. Im 17. Jahrhundert erscheinen ein paar Ausgaben, darunter eine, die ein gewisser Renatus Vallinus verantwortet. Sie erscheint in Leiden 1656 und dann noch einmal 1671. Sie ist besonders interessant, weil sie eine sorgfältige Edition mit textkritischen Ansätzen ist.

Wer ist dieser Renatus Vallinus? Viel ist nicht über ihn bekannt: Der Zedler weiß nicht einmal das, was hier angeführt ist. Vielleicht lässt sich mehr herauskriegen.

Lebensdaten habe ich bisher keine finden können, aber ein paar andere Details, über einen "Renatus Vallinus Nannetensis", einen "Canonicus" aus Nantes. Carl P.E. Springer schreibt in seinem Buch (1995) "The manuscripts of Sedulius : a provisional handlist", dass R.V. "collated a manuscript which belonged to his colleague, Antoine Legraine, against de Tournes' text. The manuscript, which R. V. describes as a "vetus codex" (p. 178), contains a number of interesting readings not attested by manuscripts listet in Huemer's critical apparatus" (S. 211).
Worauf sich die Seitenangabe (p. 178) bezieht, kann ich nicht sagen; mit dem Text ist de Tournes' Edition des Sedulius (Paschale carmen) gemeint. Dieser R.V. de Nantes scheint eigene Handschriften besessen zu haben, ist im Katalog der BNF (der französischen Nationalbibliothek) als Vorbesitzer eines Ex. der Christiana et docta divi Alchimi Aviti von 1536 genannt. Er besaß "une riche bibliothèque, avec des manuscrits datant en partie du xii siècle: Paris, BN lat. 326, 11227, 16859, 16860, 17403, 17409..." -- diese Bemerkung stammt aus Les Lettres de saint Augustin découvertes par Johannes Divjak, von 1983, S. 31.

Diese Rechercheergebnisse beruhen auf *Google Books*, nachdem World Biographical Index und andere bio-bibliographische Datenbanken den R.V. nicht kennen. Ich habe dort mit "rene vallin", "Renatus vallinus" und "Renati Vallini" gesucht.

Die lateinischen Handschriften, welche der R.V. de Nantes besessen hat, hat er 1656 dem Kloster Notre-Dame in Paris geschenkt. Das hat 100 Jahre später, also 1756, seinen Bestand Ludwig dem XV. angeboten, der ihn der Bibliothèqe imperiale, der späteren BNF, einverleibt hat.

Darüber gibt Auskunft:
Delisle, Léopold: Le cabinet des manuscrits de la Bibliothèque Impériale. Paris 1868ff. Reprint Hildesheim 1978. Bd. 1, S. 431.

Das Buch von Delisle (der ein bedeutender Bibliothekar des 19. Jahrhunderts ist) weiß einiges über die einzelnen Handschriftenbestände und wie die in den Besitz der BNF gekommen sind. Entsprechend gibt es da auch zwei Fußnoten (10 und 11) auf der Seite, die mitteilen, dass Vallin die Ms. latins 11227, 16859, 16860, 17403, 17409, 17447, 18067, 18093, 18122, 18222, 18421 besessen hat. Hier online.


Diese Information brachte mich auf die Idee nachzusehen, was denn das für Handschriften sind:

Inventaire des manuscrits latins conservés à la Bibliothèque Nationale sous les numéros 8823 - 18613 / Léopold Victor Delisle. - Nachdr. d. Ausg. Paris 1863 - 1871. Hildesheim [u.a.] : Olms, 1974

Darin findet sich folgende Information, geordnet nach Signaturen, über den Inhalt der Handschriften:

11227:
"Lilium medicine editum a mag. Berdardo de Gordonio" - Plusieurs
traités sur la peste, composés en 1349 (204) ; l'un d'eux est de
"mag. Petrus de Amonsis" (212) - XIV S.

16859:
Livres XV_XXII du meme ouvrage XII. - Or
(S. Aug., Cité de Dieu)

16860:
S. Augustinus, de nupciis et conc., de adulterinis conjugiis, de
sancta virginitate, de professione sancte viduitatis, de bono mortis,
contra quinque hereses, XI S.

17403:
Aug. de civitate Dei libri 1 - 14, XII S. - Aug.

17409
Aug. confessiones. - Rabanus in libros Regum (49). - XII S.

17447
Isidorus de summo bonno. - Aug. de fide catholica (40). - De
sacramentis (49 v). - Vers francais sur les avantages de la paix et
les malheurs de la France (52 v). - Gregorii Pastoralis (55) - XV S.
.

18067
Lettres choisies de s. Jérome. 1450. Pap

18093
Boetius, de Trinitate, cum commento Gilberti. XII S.
(dazu auch dies hier , S. 29)

18122
Petri cantoris Verbum abbreviatum. - XIII S.

18222
Yvonis Carnot. canones XII S.

18421
Cicero, Somnium Scipionis, cum expositione Macrobii. - XII S. -


Wie man sieht, sind das Schriften mit theologisch-philosophischem Inhalt: Augustin, Isidor, sogar Boethius. Angesichts dieses Besitzprofils halte ich es für einigermaßen wahrscheinlich, dass der Editor der Consolatio und dieser Mönch aus Nantes ein und derselbe sind, auch angesichts der Tatsache, dass einige der Handschriften aus dem 12. Jahrhundert stammen sollen (Quelle in der letzten Mail), was wohl auf ein gewisses bibliophiles / philologisches Interesse deutet.

Auf einer Webseite über die Geschichte des Riallé , die man hier sieht: , findet man die Notes historiques de l'Abbé Trochu. Darin taucht auch der RV de Nantes auf.
RV wird in einem Eintrag zu 1617 als "aumônier et chapelain ordinaire du roi et de surplus chanoine de la cathedrale de Nantes" genannt. Am 9. August 1659 hat er offenbar einen Grundstein gelegt zu einem bestimmten "manoir": da ist sogar ein Bild des Steins und der Inschrift! Für 1671 wird gesagt "le chanoine René Vallin décédé".

Das gibt doch gewisse Grenzen für die Lebensdaten...

25 November 2007

Gerechtigkeit und Wüste

Da gibt es ein Buch, hg. von Serena Olsaretti, das heißt "Desert and Justice". 2003 zuerst erschienen und nun als Paperback bei Clarendon in Oxford, 2007. Worum geht's da?
Die Kollegen von der Bayerischen Staatsbibliothek haben das 2003 so verschlagwortet:


Hätte man da nicht ins Grübeln kommen müssen? Hier empfehlen wir den Blick ins Wörterbuch! "Desert" bedeutet "Verdienst", und das erklärt auch, was "desert" mit "distributive justice" zu tun haben kann.

Literatur und Einstellung

Warum fällt es uns schwer, Ästhetik und Moral auseinanderzuhalten, wenn es um Kunstwerke geht? Warum finden wir Verschiebungen der Realität (z.B. die Möglichkeit von Magie) in Literatur unproblematisch, akzeptieren aber nicht, wenn uns derselbe Text einen anderen Begriff von Humor oder Moral andient für die Welt der Fiktion? Und warum weigern sich manchmal Leser, sich etwas vorzustellen, was im Text vorkommt?
Kendall Walton fasst seine Forschung dazu zusammen im Aufsatz "On the "(so-called) Puzzle of Imaginative Resistance", erschienen in The Architecture of the Imagination : new essays on pretence, possibility, and fiction, hg. von Shaun Nichols (Oxford : OUP, 2007).

Erkenntnistheorie für alle Sinne

Ist die Erkenntnistheorie zu stark auf die Augen bezogen? Brauchen wir eine Erkenntnistheorie des Geräuschs? Des Geruchs? Des Tastsinns?
Dazu Sounds : a philosophical theory, von Casey O'Callaghan (Oxford : OUP, 2007).

Dort auch neues zum Thema: Wenn ein Baum im Wald umfällt, und niemand hört zu, welche Farbe hat der Baum?
Oder: Dürfen Raumschiffe in SF-Filmen Geräusche machen? (Siehe Ch. 4 "The argument from vacuums")

24 November 2007

Roman und Philosophie im Widerstreit?

Ohne das Fragezeichen ist dies der Untertitel der Studie von Markus Gasser, welche den schönen Haupttitel trägt Die Sprengung der platonischen Höhle, 2007 bei Wallstein in Göttingen erschienen. Es ist ein intelligentes Buch, in dem es Gasser darum geht, aus literaturwissenschaftlicher Perspektive, wie sich die beiden Disziplinen vertragen: in der Literatur, nicht in der Theorie.
Allerdings freut er sich so sehr an seinem Streifzug durch die Literatur- und Mediengeschichte (mit Blick auf all die Lieblingstexte), dass das Systematische, so es nicht auf der Strecke bleibt, jedenfalls nicht mehr sichtbar ist. Ich mag 'Schlussworte', in denen nicht nur im letzten Satz eine Pointe steckt, sondern die auch noch deutlich benennen, welchen Ertrag die Vor-Worte gebracht haben. Da verzichte ich auch gern auf ein bisschen stilistischen Talmi-Glanz.

22 November 2007

K.I.T.T. schwul?

Diese Frage ist sicher keine philosophische. Die Frage, woher man das wissen kann, schon: Erstens erkenntnistheoretisch, zweitens anthropologisch, drittens queer.
Das Auto mit dem roten Schlitz, das ich heute für einen Zylonen halten würde, habe ich seinerzeit nicht wirklich oft gesehen. Daher erinnere ich mich nur dunkel an eine einschmeichelnde männliche Synchronstimme. Wer dem ersten Link oben folgt, liest, dass Hasselhoff (Experte?) seine Ansicht über KITTs sexuelle Orientierung mit dem Verhalten des Autos und mit seinem eigenen begründet. "Nicht jugendfreie Szenen" mit einem Auto können schließlich nur solche sein, in denen der menschliche Akteur für die Alterseinstufung sorgt.
Hoffs liegen also ein paar unhinterfragte Prämissen zugrunde, z.B. dass das Auto männlich ist, 2. das Autoverhalten genauso zu deuten ist wie Menschenverhalten. Welche Evidenzen haben wir für KITTs Männlichkeit? Welche für seine Menschlichkeit?
Wahrscheinlich müsste man sich besser in der Serie auskennen, um zu wissen, ob KITT überhaupt so was wie Persönlichkeit hat. Das Verhalten, insbesondere den Satz "Soll ich dich nach Hause bringen", würde ich aber ohnehin eher als typisches elterliches Verhalten deuten, gegenüber einem Kind, das noch nach Hause begleitet werden muss. (Denn dass KITT gemeint habe, zu Hause wolle es sich mit seinem Fahrer ins Bett legen, halte ich für keine plausible Prämisse.)

21 November 2007

Literatur-Agentur Danowski veröffentlicht Schelling-Bibliographie

Sieht aus wie ein Schweizer Verlag, ist aber bloß eine Kopierstation. Die sogenannte Literatur-Agentur Danowski vertreibt z.B. eine "Bibliographie der Schriften von und über" Friedrich Schelling "bis 1926", von Johann Jost, 2006 angeblich in Zürich erschienen. Angezeigt war dies so im Neuerscheinungsdienst der Deutschen Nationalbibliothek, welches Bibliothekaren und anderen beim Bücherkaufen hilft. Nicht sehen konnte man allerdings in diesem Heft die Information, die die DNB inzwischen in ihrem Katalog ergänzt hat, dass es sich nämlich um ein Werk handelt, das schon früher erschienen ist, und zwar als Kopie dieser früheren Ausgabe. Die DNB schreibt vornehm "Reprint" dazu, nämlich der Ausgabe Bonn : Cohen 1927.
Und wie teuer ist der Spaß?
Offenbar hat Danowski dasselbe schon einmal 1998 angeboten, heftweise. Das "Heft 1" mit 24 S. hat eine Preisangabe von 99,- $ im Katalog der DNB. Vermutlich ist es diesmal also noch teurer. Inzwischen habe ich außerdem andere "Bücher" gesehen, die Danowski vertrieben hat: 1seitig bedruckte, gelochte mit einem Faden zusammengebundene Loseblattsammlungen, für horrende Preise. Immerhin behauptet das DNB-Katalogisat, in den 54 Seiten des Reprints (gegenüber den 50 des Originals) sei noch ein "Nachtrag bis 2006 von Marian Danowski" enthalten. Na, so einen Nachtrag erstelle ich doch mit links! 390 Monographien zu Schelling weist allein der OPAC der UB Erlangen nach (Schlagwort). Antiquarisch ist der alte Jost übrigens für gut 30,- € zu haben.

Danowski ist ein immerhin auch der Wikipedia bekannter seltsamer Vogel.

20 November 2007

VDMs Reprints (4): "Edition Classic"

Eigentlich wissen wir ja schon gut über VDMs Reprint-Praxis Bescheid. Nun habe ich mich letztens davon irritieren lassen, dass VDM einige Werke durch den Vermerk "hg. von Esther von Krosigk" wie eine Neuausgabe erscheinen lässt. Und so haben wir Wilhelm Schuppes Grundzüge der Ethik und Rechtsphilosophie hier. Also: Sind keine Neuausgaben. Stattdessen handelt es sich um einen Reprint vermutlich der Ausgabe von 1881, die übrigens auch schon der Scientia-Verlag 1963 nachgedruckt hatte. Wie immer bei den von mir gesehenen VDM-Reprints ist die Druckqualität mäßig, wenn auch nicht ganz so schlecht wie sonst. Warum VDM zwar eine Titelblattkopie bringt, dort aber Verlagsort und Druckjahr entfernt hat, bleibt deren Geheimnis.
Esther von Krosigk, die bekannte Expertin (ist es diese hier?) für die Geschichte, erledigt ihre Herausgeberarbeit mit einem 2seitigen Reihenvorwort. Darf ich mal ein bisschen zitieren?
"Ein Großteil der Erkenntnisse, auf denen unsere Wissenschaften heute aufbauen, gründen im Forscherdrang des 19. Jahrhunderts". Hhm, ja. Ein Großteil der Erkenntnisse, auf denen unsere Wissenschaften heute aufbauen, gründen auch auf dem Forscherdrang der [hier Epoche Ihrer Wahl einsetzen]. Für von Krosigk ist das 19. Jahrhundert so eine Art Gründerzeit der Wissenschaften, "und so entstand eine große Menge an grundlegenden Werken - häufig so einfach und plausibel geschrieben, dass es selbst für Laien spannend ist darin zu lesen. Noch heute."
Ah, hier ist also die Zielgruppe von VDM: die Laien! Die blechen vielleicht 54,- € für ein hässliches Paperback, weil sie nicht darauf warten wollen , dass Google Books erkennt, wie urheberrechtsfrei Schuppes (gestorben 1913) Werke sind. Und die sowohl Scientias als auch Elibrons Reprint verpasst haben. Den kann man übrigens bei Amazon.co.uk noch bekommen, für 8,77 Pfund.

19 November 2007

Schwule und feministische Anthropologie

laufen entgegengesetzt, entnehme ich Michael Gronebergs Aufsatz 'Bullenmänner' - Zur Biologisierung männlichen Begehrens. Während feministische Theoretikerinnen "no nature" in der Frage, wie das biologische Geschlecht auf das Verhalten wirke, vertreten, ziehen sich Schwule (aus politischen Gründen) auf "no choice" zurück. Dass sie darin ein genetisches Argument haben in Studien von Dean Hamer und Peter Copeland, war mir neu. Groneberg zitiert aber nicht nur zugleich Hamers eigenes vorsichtiges Resumee, dass Männer lediglich stärker als Frauen in ihren sexuellen Präferenzen erblich bedingt seien, er weist auch darauf hin, dass diesen Ergebnissen womöglich eine bestimmte Forschungsstrategie zugrundelag. Wenn Frauen und Männer am Ende des 20. Jahrhunderts die Plätze getauscht haben an den Polen Kultur und Natur, dann haben vielleicht beide etwas davon. -- Nur dass das in der Alltagskultur noch nicht angekommen ist.

Der Aufsatz Gronebergs in: Ders. (Hg.), Der Mann als sexuelles Wesen : zur Normierung männlicher Erotik. Fribourg : Academic Press, 2006, 5-36.

Boris Groys?

Ein Buch, das den Namen des Autors im Titel trägt und als Illustration ein Foto des Autors, ist ja wohl ein Egotrip, jedenfalls wenn der Autor noch lebt. Boris Groys veröffentlicht 2007 das Buch Groysaufnahme : philosophische Gedanken zum Kino. Der erste Teil sind Kurzglossen, je zwei Seiten, zu bestimmten Filmen. Das Philosophische im Untertitel macht neugierig. Na, mal sehen, was er zu diesem und jenem zu sagen hat.
Über Die another day (S. 26-27) wundert sich Groys, dass im Hollywood-Kino nie Arbeit zu sehen ist. Groys charakterisiert den üblichen Bond-Showdown als Eindringen des "vorbildlichen Konsumenten" Bond in den Ort des Verbrechens, "und das sind in der Regel riesige Fabriken, wo Menschen konzentriert und systematisch arbeiten, wirklich beschäftigt sind". Und die macht er natürlich kaputt, womit er die Arbeit quasi aus der Welt des Films exorziert.
Nach meinem Verständnis von Arbeit ist Arbeit das, was man beruflich tut. Bond ist Geheimagent, also rettet er beruflich die Welt. Der ganze Film zeigt ihn bei der Arbeit. Bond ist ein prototypischer Kapitalist, indem sich bei ihm die Arbeit schlecht vom Privatleben trennen lässt (was man ja auch daran sieht, dass er oft dienstlich mit Frauen ins Bett geht).
Über Delicatessen (S. 44-45) ist Groys fasziniert von der Frau, die groteske Machinationen aufbaut für ihren Selbstmord. "Im Endeffekt haben alle diese Maschinen nicht richtig funktioniert, und sie bleibt am Leben". Groys meint, dass die Maschinen die Metapher für die moderne Welt sind, und dass wir von Maschinen umgeben sind, die uns am Leben erhalten, aber keine haben, die uns den Tod bringt.
Da geht das Theoriepferd mit ihm durch, auch wenn Groys hier den individuellen im Unterschied zum Massentod etwa im Krieg meint. Abgesehen davon, dass diese Aussage über den Film nicht stimmt: der letzte Selbstmordversuch führt zum Erfolg. (Das Klingeln ihres Mannes erzeugt einen Funken, der das Gas entzündet, welches das ganze Stockwerk in die Luft jagt.)
Über Kill Bill schreibt Groys (S. 86-87), dass der Film "die Amerikaner als Opfer der Globalisierung" zeige, weil diese sich so verhalten wollten und so geschickt sein wollten wie Japaner und Chinesen: "Ihr ehrliches Bemühen, mit dem Schwert richtig umzugehen, mit einer leichten Handbewegung jemanden leicht zu töten, gelingt aber nicht ganz. Denn ihre Körper und ihre Haltung passen nicht ganz ins gewünschte Bild." Hhm. Uma Thurman spielt vermutlich keine Amerikanerin, und sie metzelt auch nicht 100 Asiaten nieder in Teil 1. Groys findet auch, dass dieses Misslingen dieselbe "Atmosphäre der Peinlichkeit" erzeugt, die er schon aus früheren Tarantino-Filmen kennt, wo "provinzielle Gangster sich übermäßig anstrengen, so cool wie nur möglich auszusehen". Groys meint auch, dass man heutzutage nicht mehr als Held geboren werde, wie z.B. noch Batman(!). "Stattdessen geht man in die lange und mühsame Lehre, um die Dinge zu lernen, die man braucht, um seine Heldentaten zu vollbringen. Ein solcher Lernprozess ist nicht individualistisch-amerikanisch, sondern östlich-bürokratisch." Ja, es stimmt: der Lernprozess ist ein Klischee des Karatefilms. Aber der klassische Karatefilm à la Karate-Kid ist ur-amerikanisch-individualistisch, weil er zugleich sagt, dass man alles werden kann, was man will.
Ach ja. Groys hat ganz andere Filme gesehen. Aber sein Buch mit den vielen Fotos von ihm zeigt ohnehin nur, was sein Titel auch sagt, dass er nämlich in allem und jedem nur sich selbst sieht.

Naturphilosophie?

Die Schwerkraft ist ein Rätsel, finden Erwin Kohaut und Walter Weiss. Das natürlich gelöst werden kann. Aber ich habe kein Vertrauen in die Ansätze eines dicken Buches Das Rätsel Gravitation und seine naturphilosophische Lösung (Wien-Klosterneuburg : Va bene, 2007), das die Frage "Was ist Zeit" auf einer Seite abhandelt. "Zeit ist die Art und Weise, wie Bewußtsein Veränderung wahrnimmt - und sonst nichts. (...) Besser gesagt: ohne sich veränderndes -, keine Zeiterfahrung und auch keine Zeitmessung." (S. 455)
Sind das nicht zwei verschiedene Dinge, das besser und das schlechter gesagte? Natürlich gibt es ohne "sich veränderndes" weder Zeitmessung noch Zeiterfahrung, weil sich z.B. der Zeiger auf der Stoppuhr nicht bewegte (keine Messung), und weil die Neuronen im Hirn nicht feuern würden usf. Wahr aber trivial.
Das heißt doch nicht, dass es keine Zeit gäbe! Finden Kohaut und Weiss übrigens auch, weil sie die Abwesenheit von Veränderung als Ruhe und "Ewigkeit" erklären (S. 456), und Ewigkeit ist ein zeitlicher Begriff. Oder seh ich da was falsch?

Wittgensteins Haus

Dass Wittgenstein mal ein Haus entwarf für seine Schwester samt allen Details, das immer noch steht und in Wien besichtigt werden kann, ist ja bekannt; außerdem weist hin und wieder der Klinkenhersteller FSB darauf hin, dass man dort auch Wittgensteins Klinke im Programm hat. Aber wie hängt hier Architektur und Philosophie zusammen? Jaja, Wittgenstein mag Bau- und Konstruktionsmetaphern. Doch das ist ein bisschen wenig, meint Roger Paden in: Mysticism and Architecture : Wittgenstein and the meanings of the Palais Stonborough (Plymouth : Lexington, 2007), und unternimmt es, dem nachzugehen. Dabei widmet er besondere Aufmerksamkeit dem kulturellen Kontext des Wien des Fin de siècle, und versucht außerdem, das Haus als Ausdruck der Werkeinheit zu interpretieren, die auch Tractatus und PU umfasst. Ein Kapitel trägt den netten Titel "Wittgenstein's self refuting biography"; und als Beitrag zur philosophischen Biographie LWs will Paden das Buch auch verstanden wissen.

Was ist das denn?

http://www.ludusglobi.de/