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26 Februar 2009

Ereignisse der Philosophiegeschichte -- gibt es welche?

Klar, Philosophinnen und Philosophen haben Geburts- und Sterbetage. Aber was für exakte Daten der Philosophiegeschichte gibt es sonst noch?
Das erste, was mir einfiele, wäre die sogenannte "Davoser Disputation" zwischen Heidegger und Cassirer. Die war, genauer konnte ich's bisher nicht rauskriegen, im Frühjahr 1929. (Vermutlich steht das genauer in Heideggers Werkausgabe.)
Und sonst?

Zufällig habe ich die beiden Pariser Verurteilungen von 1270 und 1277 entdeckt.
Was gibt es sonst noch? Erscheinungsdatum von Werken? (Wann erschien denn die Kritik der reinen Vernunft? Wann fiel Newton der Apfel auf den Kopf?)

Falls Ihnen was einfällt, was sich datieren lässt, bitte in die Kommentare!

23 Februar 2009

"Ich bin gekränkt, dass ich ..."

Michael Skibbe wurde bei Galatasary Istanbul geschasst. Spiegel Online zitiert ihn dazu mit der Äußerung: "ich bin selbst gekränkt, dass ich das gesteckte Ziel mit der Mannschaft nicht erreicht habe". Wer hat Skibbe gekränkt? Die Antwort: er sich selbst. Denn der Grund für die Kränkung ist ja angegeben im Nebensatz, den Skibbe aktivisch formuliert. Skibbe hat das Ziel nicht erreicht. Das kränkt.
Es ist offensichtlich, dass Skibbe etwas meint wie "ich bin enttäuscht". Kränkung bedeutet ja eher so etwas wie Beleidigung, also etwas, das einem durch andere widerfährt. Wenn Skibbe spontan zu diesem Wort greift, dann zeigt das, wie ihn der Rausschmiss an die Nieren geht. "Ich habe das kommen sehen", wird Skibbe auch zitiert, und das Wort "Kränkung" offenbart: Ich habe es kommen sehen, aber nicht wahrhaben wollen.

Descartes' Schädel

Russell Shorto hat mit Descartes' Bones eine "skeletal history" des Konflikts zwischen Vernunft und Glaube geschrieben, erschienen bei Doubleday 2008. In der Umschlaginnenseite findet man ein farbiges Bild von Descartes' Schädel, der besonders eindrucksvoll ist durch die Schrift auf der Stirn. (Im Flickr-Stream von Doubleday leider nur schwarzweiß, auch sonst nicht aufzutreiben.)


Das Bild zeigt deutlich die Schrift -- laut Erläuterung eine schwedische Anklage über den Diebstahl des Schädels 1666; darüber auf Latein ein Lobgedicht auf Descartes.

Ich frage mich, wie man auf die Idee kommen kann, sich über den Diebstahl von etwas auf dem Gegenstand selbst zu beschweren -- noch dazu wenn das zugleich pietätloser Umgang mit der Res Extensa des Verstorbenen ist? Aber man sieht ja schon an Hamlet und Yorick, dass früher andere Maßstäbe galten...

Philosophen im Bild (2)

(Weitere hier.)

Gareth Southwells Einführung in Nietzsches Jenseits von Gut und Böse fiel mir auf wegen der eindrucksvollen Nietzsche-Karikatur auf dem Cover (Gareth Southwell: A beginner's guide to Nietzsche's Beyond good and evil. Malden: Wiley-Blackwell, 2009). Interessant festzustellen, dass der Autor selbst die Zeichnung gefertigt hat! Als Doppelbegabung ist er in der glücklichen Lage, Sachverhalte auch gekonnt zu visualisieren (nicht nur als Karikatur) und hat damit eine sehr lesbare Einführung geschrieben.
Southwell zeigt auf seinen Webseiten noch mehr Beispiele. Mir haben zwei besonders gefallen, die ich hier mit seiner Erlaubnis wiedergebe. Der Descartes zeigt deutlich, dass Philosophie "puzzling" ist.


Und der "Esel der Philosophie" trägt eine schwere Last...


Used with permission. Copyright by Gareth Southwell.
Mehr von ihm auf seinen Webseiten:
www.philosophyonline.co.uk
www.warmtoastcafe.com/art/gee-jay/

19 Februar 2009

Kritikon, 2. Ausgabe online

9 neue philosophische Rezensionen warten hier auf Leser. Besprochene Bücher:

Neue Zeitschrift: Berkeley studies

Ja, eigentlich ist die Zeitschrift nicht neu: früher Berkeley Newsletter, jetzt Berkeley studies, seit 1977 veröffentlicht! Offenbar gab's eine große Lücke nach 1998, bevor die Zeitschrift sich 2005 unter dem neuen Namen wieder ins Licht der Öffentlichkeit begab. Alle Beiträge sind frei online zugänglich.

Hier die Bemerkungen des Herausgebers Stephen H. Daniel im Editorial von Band 18 (2007) (pdf):

Ever since Berkeley started publishing his ideas in the first decade of the 18th century, commentators and critics have found outlets for discussing his life and doctrines. But in 1977 Ned Furlong and David Berman recognized a need to communicate information about not only the latest news and publications on Berkeley scholarship but also short notes relating to his life and thought. So in October of that year, with the support of the Department of Philosophy at Trinity College Dublin and the Royal Irish Academy, they published the first issue of the Berkeley Newsletter, a modest 12-page pamphlet distributed to a handful of scholars in Europe and North America.
The Newsletter appeared annually in its first nine years and every two years from 1987 to 1998 (when it ceased publication with Issue #15). In 2005 Bertil Belfrage spearheaded an effort to resurrect the Newsletter; and with the help of Silvia Parigi, Laurent Jaffro, Tom Stoneham, and especially Marc Hight and Hampden-Sydney College in Virginia, the Newsletter appeared as Issue #16 in the online format you now see before you.
After reestablishing the Newsletter and guiding it through two issues, Bertil stepped down as senior editor last year. During those two years, it became evident that an online journal could accommodate full-length research articles as well as the notes, reviews, and announcements that characterized the newsletter. We have decided, therefore, to change the name of the journal from the Berkeley Newsletter to Berkeley Studies (Issue #18) to reflect its expanded mission. We will continue to provide updated bibliographic entries and news items; but we also invite those interested in Berkeley scholarship to visit the website of the International Berkeley Society (http://georgeberkeley.tamu.edu/) and to consult the IBS publication Berkeley Briefs for information about events relating to the study of Berkeley.

(Ergänzung) Mancher Leser mag sich wundern, warum ich die Zeitschrift hier anzeige: Was ist daran neu? Antwort: Die Zeitschrift ist weder in der Zeitschriftendatenbank noch in der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek bisher nachgewiesen. D.h. sie war bisher der bibliothekarischen Welt in Deutschland unbekannt.

16 Februar 2009

Moralische Autonomie: Wettbewerb

The Philosophical Quarterly invites submissions for its 2009 international prize essay competition, the topic of which is "Moral Autonomy". Bis 1.11.2009, nicht mehr als 8000 Wörter, 1500 Pfund Preisgeld. Mehr Info hier: http://www.st-andrews.ac.uk/~pq/essay09.htm

13 Februar 2009

Die Angst des Roland Reuß vor Open Access (Teil 2)

(überarbeitet 17.2.)
Fortsetzung der Kritik an Reuß Faz-Artikel.
Hier der 1. Teil.

Hier Anmerkungen zum Reuß-Artikel von Erich Steinhauer (Wissenschaftsurheberrecht) und Klaus Graf (Archivalia).

Kommentar von "Anonym" am 13.12. zum ersten Teil:
Zu Ihrem letzten Argument des angeblichen "doppelten" Bezahlens des Staates für wissenschaftliche Publikationen: Fakt ist aber doch wohl, dass alleine in Deutschland zehntausende von Menschen in Wissenschaftsverlagen arbeiten, die der Staat NICHT bezahlt. Diese Menschen beschäftigen sich in irgendeiner Form mit wissenschaftlichem Publizierem. Geht Ihre Theorie davon aus, dass diese Menschen allesamt sinnlose und überflüssige Arbeit leisten? Wird deren Arbeit von Universitätsmitarbeitern a) überhaupt b) besser und/oder c) effizienter (d.h. zu einem besseren Preis-Leistungsverhältnis) erbracht? Ich bezweifle das.
Vielleicht sollten wir ein paar Dinge unterscheiden, die Reuß nicht unterscheidet. Zum Beispiel die Verlage, um die es geht. Das wissenschaftliche Publikationswesen krankt ja nicht daran, dass bei Klostermann eine Monographie für 50,- € erscheint, oder auch bei Stroemfeld ein Band Kleist für 128,- €. Sondern wir reden, auch, und in finanzieller Hinsicht vordringlich, von den internationalen Großverlagen wie Elsevier, die mit marktbeherrschender Stellung jedes Jahr die Zeitschriftenpreise um einige Prozent erhöhen. Ist Ihnen Elsevier ein Begriff? Einer Börsenblattmeldung vom Februar 2008 zufolge hat Reed Elsevier den Umsatz von 2006 auf 2007 von 7,17 auf 6,1 Milliarden € gesenkt, zugleich aber den Gewinn von 828 Mio auf 1,6 Milliarden Euro fast verdoppelt. Elsevier ist einer der Auslöser für die sogenannte "Zeitschriftenkrise". Womit verdient Elsevier das Geld? Vereinfacht ausgedrückt: Sie verkaufen den Wissenschaftlern die Inhalte zurück, die die Wissenschaftler erstellt haben. Ja, natürlich investieren die auch in Infrastruktur und Vertrieb usw. Trotzdem kommt unterm Strich 1,6 Mrd Gewinn raus.
Open Access könnte auf lange Sicht ein Ausweg aus der Zeitschriftenkrise sein. Oder jedenfalls könnte OA-Konkurrenz mäßigend auf die großen Verlage einwirken.

Nun mal zurück zu Ihrem Kommentar und den mittelständischen deutschen Verlagen.
1. denke ich, dass Ihre Schätzung "zehntausende" falsch sind, nämlich zu hoch. Das hat Einfluss auf Ihr Argument, weil es die Menge an Arbeit reduziert, die überhaupt, "gesamtgesellschaftlich betrachtet", in diesen Verlagen getan wird. Was denken Sie, wieviele Wissenschaftsverlage es in Deutschland gibt, die mehr als 50 Mitarbeiter haben? Wirklich 200???
2. Natürlich tun diese Mitarbeiter etwas. Und selbstverständlich bin ich nicht der Meinung, dass diese Tätigkeit sinnlos ist. Die Frage ist nur, ob diese Feststellung als Argument taugt in Hinblick auf Open Access. Ich komme da gleich noch einmal drauf zurück.

Macht Open Access Wissenschaftler zu Opfern?
Zunächst mal will ich hier noch einmal deutlich hinschreiben, warum Reuß' Auslassungen so irritierend wirken für Wissenschaftler, die Anhänger von Open Access sind. Reuß schreibt ja, sinngemäß zusammengefasst, dass die OA-Bestrebungen die Wissenschaftler enteignen und zu Opfern machen. Die OA-Bewegung verdankt sich aber auch der Beobachtung, dass Wissenschaftler häufig bei der Veröffentlichung ihres Werks in einem Verlag alle Rechte vertraglich an den Verlag übergeben müssen. Übergeben heißt hier: Verlage lassen sich gerne "ausschließliche" Nutzungsrechte einräumen. Und "ausschließlich" heißt: dem Verfasser bleibt dann selbst das Recht nicht mehr. Das ist "Enteignung", buchstäblich verstanden, oder Übereignung.
Je wichtiger eine Zeitschrift oder ein Verlag in einem bestimmten Feld sind, desto mehr Macht hat hier der Verlag in der Beziehung zum Autor. Das nennt man Machtgefälle. Autoren können sich dann nicht immer gegen die Rechteübertragung wehren. Und damit wird, was als Handel in beiderseitigem Einvernehmen beginnt, möglicherweise zur Ausbeutung.

Was könnte ein Autor dagegen haben?
Ein Autor könnte zwei miteinander nicht notwendig zu vereinbarende Interessen haben. Das erste ist, möglichst breit rezipiert zu werden. Das zweite, in einer wichtigen Zeitschrift zu veröffentlichen. Ist diese wichtige Zeitschrift sehr teuer, hat sie nicht so viele Abonnenten, wie sich der Autor wünscht. Also freut er sich zwar darüber, dass die Zeitschrift seinen Aufsatz drucken will, würde aber gern noch seinen Aufatz auf den fachlichen Pre- und Postprintserver legen. Oder er würde gern seinen Aufsatz als pdf an seine Freunde schicken. Kann er aber nicht: er hat ja schon alle Rechte an die Zeitschrift bzw. den Verlag übertragen. Die Open Access-Bewegung möchte Autorenrechte stärken.
Veröffentlicht ein Autor in einer Open Access-Zeitschrift (wie zum Beispiel BioMed Central, das Reuß ja anführt), dann behält er auch die Rechte an seinem Werk. Aber er kann es sich trotzdem schenken, den Aufsatz per pdf zu verschicken, weil es ja genügt, wenn er den Link verschickt. Jeder kann drauf zugreifen. Das bedeutet "offener Zugang". Auf Autorenseite befriedigt Open Access das Bedürfnis, gelesen zu werden. Auf Leserseite befriedigt Open Access, lesen zu können.

Warum für WR und DFG Open Access eine gute Sache ist
Wenn eine forschungsfördernde Institution Geld ausgibt, um ihren Zweck zu erfüllen, also Forschung zu fördern, dann liegt ihr natürlich auch daran, dass diese Forschung zugänglich ist. Herr Reuß mag es vielleicht für angemessen halten, dass eine solche Institution Geld einfach verschenkt und dass der Empfänger dann nicht mehr darüber Rechenschaft ablegen muss. Darauf scheint mir seine Auslassung über den "Dirigismus" und die Forschungsfreiheit hinauszulaufen. Aber ich halte es für legitim, dass ein Geldgeber ein bisschen Kontrolle darüber haben möchte, dass sein Geld auch Nutzen stiftet. Die DFG fördert ja die Forschung nicht darum, damit da ein Forscher seinen Interessen nachgehen kann, sondern damit die Gesellschaft was davon hat. Ein Maß für diesen Nutzen ist, wie gut die Ergebnisse rezipiert werden können. OA bedeutet: ausgezeichnet können sie rezipiert werden, weil es keine Hindernisse gibt.

Frage: Braucht eine Forschungsförderinstitution stattdessen die von Reuß vertretene wissenschaftliche Qualitätssicherung durch Verlage? Antwort: Natürlich nicht. Aus zwei Gründen: 1. OA-Veröffentlichung ist nicht gleichbedeutend mit "ohne Peer Review", so wie Veröffentlichung in einem Verlag / in einer kommerziellen Zeitschrift nicht gleichbedeutend ist mit "mit Peer Review". 2. Die Qualität eines Projekts wird bereits bei der Antragstellung beurteilt.

Wie kann die Verpflichtung, OA zu veröffentlichen, ein Eingriff in die Forschungsfreiheit sein?
Die Art und Weise, wie die Ergebnisse veröffentlicht werden können, haben doch keinen Einfluss darauf, welche Ergebnisse veröffentlicht werden. Die Forschung findet zuerst statt, dann wird sie veröffentlicht. Reuß schreibt, es sei eine Errungenschaft, die "in den letzten 250 Jahren zum Aufblühen wissenschaftlicher Kultur geführt hat [...]: das Recht, als Wissenschaftler im Rahmen staatlich finanzierter Einrichtungen frei zu forschen und zu lehren und eben auch darüber zu bestimmen, wo das erscheinen soll, was man erdacht und erforscht hat; gerade auch unter Verwertungsgesichtspunkten".
Na, das ist eine starke These: dass die Wahl der Publikationsform zu einem Aufblühen der Forschung geführt habe. Freiheit in Forschung und Lehre bedeutet, dass man seine Inhalte selbst suchen kann. Das ist in der Tat eine tolle Errungenschaft. Nur gerät diese Freiheit nicht durch die Verpflichtung zur OA-Veröffentlichung in Gefahr.
Natürlich kann ich erklären, warum Reuß auf der "freien Wahl der Publikationsform" bestehen möchte. Weil in seiner Konzeption von Publikationsformen es bessere und schlechtere gibt. OA hält er für schlechter, und er möchte die Freiheit haben, die bessere zu wählen. Die Motivation verstehe ich. Aber über Reuß' Kriterien für besser und schlechter kann ich nicht aufhören, mich zu wundern.

Unsittlich?
Reuß' Abschlussforderungen. Nehmen wir die erste:
  • Die mit Steuergeldern ausgestatteten (aber vom Steuerzahler nicht kontrollierbaren) Institutionen müssen aufhören, einseitig und massiv digitale Publikationsform zu Lasten des Buches zu subventionieren.
Wir haben eine Vertretungsdemokratie. Steuerzahler sind ungefähr das, was Wähler sind (darum sind Steuergeschenke Wahlkampfmittel). Reuß tut so, als würden Unis Geld ausgeben können, wie sie wollen. Aber sie werden von der Politik kontrolliert, und die Politiker werden gewählt. (Aber leider sind die gewählten Politiker noch nicht sehr weit, was OA angeht.)

Reuß tut so, als würde die DFG nicht kontrolliert -- aber die DFG organisiert ja nur den Kommunikationsfluss der Wissenschaftler, wenn sie Forschungsfördergelder verteilt. Dass die DFG OA gut findet, bedeutet, dass es zumindest ein paar Wissenschaftler gibt, die ebenfalls OA für ne gute Sache halten.
Ach ja: Internet und Digital ist nicht gleichbedeutend mit OA, da lohnt die Differenzierung. Auch die großen internationalen Zeitschriftenverlage bieten ihre Zeitschriften (gedruckt und) online an. Das heißt: Vieles von dem, was in Universitäten an Medien online genutzt werden kann, ist mitnichten frei verfügbar, sondern wird teuerst bezahlt. Aber es kann schon sein, dass Reuß hier nicht auseinanderhalten mag, ob Heidelberg (oder die DFG via Nationallizenz) teure STM-Zeitschriften für den Online-Zugriff kauft oder einen OA-Server unterhält. Beides ist Geld, das nicht für gedruckte Bücher ausgegeben wird. Dies stimmt auch dann, wenn man weiß, dass die finanzielle Unterstützung von OA vielleicht langfristig die Ausgaben für teure Lizenzen senkt.
Aber es geht ja Reuß wohl nicht um die Bucherwerbung der Universitätsbibliotheken und deren Etatprobleme, sondern die Forschungsförderung seiner Arbeit. Er will Druckkostenzuschüsse statt OA-Server.

Die zweite:
  • OA braucht eine Kosten-, Nutzen- und Risikoanalyse.
Jaja, schon. Gesamtgesellschaftlich (siehe oben). Was hier bei "Risiko" mitgemeint ist, ist das Problem der Langzeitarchivierung: Zahlen wir Druckkostenzuschüsse, damit unsere Forschungsergebnisse auch noch in 500 Jahren lesbar sind. Wünscht sich Reuß für seine Editionen, nehme ich mal an, denn dass er dabei an, sagen wir, medizinische Forschungsergebnisse denkt, glaube ich nicht.
Irritierend auch hier wieder, dass Reuß OA und digital in eins denkt. Dass etwas im Open statt Closed Access zugänglich ist, stellt ja nicht per se ein Risiko, sondern einen Vorteil dar. (Siehe dazu auch meine Anmerkung zu Uwe Jochums "Das Mediendesaster" in BuB, hier als pdf.)
  • Das Urheberrecht ist unveräußerlich.
(Jaja, ist es, sowieso. Reuß meint die Nutzungsrechte.) Nun ist es so, dass für die OA-Veröffentlichung der veröffentlichenden Institution oder dem veröffentlichenden Verlag keine "ausschließlichen" Nutzungsrechte eingeräumt werden müssen. Das ist ja einer der Vorteile von OA. Man kann doch sein Werk hinterher noch "verwerten". Wohingegen es bei einer Verlagsveröffentlichung durchaus sein kann, dass man die Nutzungsrechte eben übergibt und sie danach nicht mehr hat. Ceterum Censeo. Müsste Reuß aber auch wissen.

Hier schließt sich wieder der Kreis, und wir sind bei der Frage wieder angekommen, ob die Wissenschaftspolitik die Interessen von Verlagen berücksichtigen muss, gesamtgesellschaftlich. Die Antwort ist: nein, dafür ist der Wirtschaftsminister zuständig.
Aber im Ernst. Der anonyme Kommentar, den ich oben zitiert habe, argumentiert damit, dass Verlage Leistungen erbringen. Diese Leistungen können sie doch auch im OA-Kontext erbringen: dann wird eben diese Leistung bezahlt. OA könnte ein neues Geschäftsfeld sein!

(Update 19.2.) Antwort von Gudrun Gersmann auf Reuß' Artikel in der FAZ, zu lesen bei Archivalia.

Neue Schriftenreihe bei Springer: Schlick-Studien

Bisher 1 Band angekündigt. Die Reihenherausgeber sind Friedrich Stadler, Prof in Wien und Leiter des Instituts Wiener Kreis, und Hans Jürgen Wendel, Prof aus Rostock, der die Kritische Schlick-Ausgabe betreut.

11 Februar 2009

Die Angst des Roland Reuß vor Open Access (Teil 1)

(Aufmerksam geworden durch Steinhauers Wissenschaftsurheberrechtsblog)
Hier geht's zu Teil 2.

Roland Reuß hat in der FAZ heute den Teufel an die Wand gemalt: die Open Access-Bewegung sei eine „klammheimliche technokratische Machtergreifung“. Er versucht seinen Lesern zu erklären, warum Open Access schlecht ist: aus „kulturelle[n], rechtliche[n] und finanzielle[n] Gründe[n]“, nämlich. Außerdem bringt er es fertig, durch seine Wortwahl das Kritisierte in die Nähe sowohl des Faschismus („Machtergreifung“) als auch des Kommunismus („staatsmonopolistischer Verwertungskreislauf“) zu stellen. Open Access-Vertreter sind, folgt daraus, fanatisch. Mit Verlaub: das ist unfair. Ich kann mir solche Rhetorik nur so erklären, dass Reuß wirklich echt und tiefempfunden Angst hat vor dem, was er da heraufziehen sieht. Angst ist etwas Irrationales, und so bringt Reuß seine Angst wohl auch dazu, sich an die Fakten nicht zu kehren.

Roland Reuß
Wer ist dieser Roland Reuß? Auf der Webseite seines „Instituts für Textkritik“ erfährt man, dass er seit 2007 in Heidelberg als Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft wirkt, 1994 das besagte Institut mit begründet hat, 1958 geboren ist. Seine Forschungsinteressen sind: „Theorie der Edition, Hölderlin, Kafka, Kleist, Romantik, Paul Celan, Digitale Medien“.
Die Publikationsliste nennt zwei Publikationen (wenn ich nicht was übersehen habe), die etwas mit „Digitalen Medien“ zu tun haben, ein Aufsatz „Digitalisierung ohne Daumen“ (oder vielleicht zwei titelgleiche) und „Textkritische Editionen und Datenformate“ im Jahrbuch der Computerphilologie 1999, den zu verlinken er sich nicht die Mühe macht.
Die anderen Forschungsinteressen sagen mir als studiertem Germanisten, dass wir es hier mit einem zu tun haben, der die ‘Theorie’ liebt: Hölderlin, Kleist, Romantik, Kafka, Celan: das sind die typischen Spielwiesen der Literaturtheoretiker. Die schwierigen, vieldeutigen Autoren. Reuß hat auch Kafka und Kleist ediert und gibt die Zeitschrift TEXT heraus, bei der er fleißig selbst schreibt.
Reuß’ Editionen im Stroemfeld-Verlag sind Faksimile-Editionen, d.h. solche, die das Manuskript und auf der gegenüberliegenden Seite einen Transkriptionsvorschlag zeigen. Damit hat Reuß methodisch die Editionsphilologie vorangebracht; mit seinem streitfreudigen Eintreten für diese Form der Edition und gegen alle anderen aber auch seinen wissenschaftlichen Solipismus gezeigt. Reuß ist einer, der nicht gern auf andere Meinungen hört, aber immerzu von andern fordert, sie möchten auf ihn hören.

David gegen Goliath: Reuß gegen DFG, WR und KMK
Ich verneige mich vor der Chuzpe, mit der Reuß sich zum Underdog macht: er steht nämlich auf gegen Kultusministerkonferenz, Wissenschaftsrat UND Deutsche Forschungsgemeinschaft, die im Verein „partiell und mit Billigung der unkundigen und hilflosen Opfer“ diesen Open Access aufzwingen. David Reuß gegen Goliath Politik. Die DFG zum Beispiel gibt in ihren Richtlinien vor, zitiert Reuß, „dass die mit ihren Mitteln finanzierten Forschungsergebnisse publiziert und dabei möglichst auch digital veröffentlicht und für den entgeltfreien Zugriff im Internet verfügbar gemacht werden“. Ähnliches sieht Reuß (vermutlich) auch bei der KMK am Werk, und da die Unis aus Ländermitteln bezahlt werden, fürchtet er, dass Uniangehörige von ihrer Hochschule verpflichtet würden, ihre Forschungsergebnisse auf dem Hochschulserver abzulegen. Der Streit geht nicht darum, ob das stimmt (für die DFG kann das jeder auf deren Webseiten nachlesen), sondern wie das zu bewerten ist. Warum soll das schlecht sein? Sehen wir uns Reuß’ Gründe an.

Die finanziellen Gründe gegen Open Access nach Reuß -- und Kommentar
  • OA setzt „leichtfertig“ die „bewährte Infrastruktur mittelständischer Wissenschaftsverlage“ auf Spiel.
Reuß meint, wenn Wissenschaftler OA veröffentlichen müssen, dann haben die mittelständischen (deutschen) Verlage nichts mehr zu drucken. Denn, das hält er für so evident, dass es keiner weiteren Begründung bedarf, was kostenfrei zugänglich gemacht wird, kann nicht mehr verkauft werden. Wer die Entwicklung von OA verfolgt hat, weiß, dass diese These noch des Belegs harrt; OA-Anhänger wissen dagegen von dem umgekehrten Effekt: dass die freie Zugänglichkeit im Web die Nachfrage nach dem gedruckten Buch befeuert hat. Aber unabhängig davon, wie sich dies verhält, fragt sich, warum die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen überhaupt hier ins Feld geführt werden sollten. Das Argument ist analog zu: Wir sollten keine Solarstromautos bauen, weil damit die bewährte Infrastruktur der Tankstellen aus Spiel gesetzt wird. Überzeugend?

  • Verlage, die nicht mehr da sind, können dann auch nicht ihre wesentlichen Leistungen für die Wissenschaft erbringen.
Was sind denn diese Leistungen? Reuß sieht drei: 1. Verlage kümmern sich um „Satz, Druck, Lektorat“. Bei OA fällt das weg, darum sind OA-Veröffentlichungen, meint Reuß, typographisch hässlich. 2. Verlage „bewerben“ eine neue Publikation und etablieren sie „wo dies nötig ist, auch gegen Widerstand öffentlich“. 3. Verlage wählen Qualität aus, filtern also den Wissenschaftlichen Output.
Ad 1. Typographie
Dass das für ihn als typographischen Feinschmecker von Belang ist, muss man ihm nachsehen. Dass es aber nicht stimmt, sollte man schon mit in die Bewertung einbeziehen. Es stimmt beides nicht: OA ist nicht notwendig hässlich. (Belege kann man sich schenken, da Reuß Behauptung ohnehin nur Polemik ist.) Und Verlage erbringen nicht immer diese Leistungen. Ich rede nicht von Peter Lang oder VDM. Ich habe die Produktion von Dissertationen, Tagungsbänden und Professorenmonographien mitbekommen, und Veröffentlichungen bei den Verlagen Mohr Siebeck, Vandenhoeck und Ruprecht, Carl Winter, Neukirchener, Königshausen & Neumann, Niemeyer, de Gruyter. Die verlangten Druckkostenzuschüsse sind natürlich unterschiedlich hoch, bilden aber schon jeweils eine stolze Summe. Bei Niemeyer musste ich meinen eigenen Text komplett zum Satz vorbereiten. De Gruyter hat einem Autor eine Word-Dokumentvorlage gegeben; Mohr Siebeck eine Formatierungsvorschrift auf Papier. Beide haben das druckfertige Manuskript zum Abfotografieren (CRC-Verfahren) bekommen. Sammelbände werden in der Regel von den Hilfskräften der Herausgeber korrekturgelesen und oft auch gesetzt.
Ad 2. Durchsetzen
Von welchen Werken redet Reuß? Der Verdacht liegt nahe: von seinen eigenen Editionsvorhaben im Stroemfeld-Verlag, die ja in der Tat umstritten sind und für die der Verlag sicher Mut gebraucht hat. Aber sonst?
Ad 3. Qualitätsfilter vs. Wissenschaftsdarwinismus
Das Argument Qualitätsfilter bringt Reuß gerade im Zusammenhang mit Dissertationen: die „besseren“ lägen gedruckt vor, nur die „mittelmäßigen“ landeten auf dem Hochschulschriftenserver. Dazu ist verschiedenes anzumerken. Welcher Verlag sucht sich die Dissertationen selbst aus, die er druckt? In der Regel, bei den mittelständischen Verlagen, um die es geht, gibt es Reihen und Reihenherausgeber, das heißt Wissenschaftler. Die könnten diesen Dienst an der Wissenschaft natürlich auch bei OA-Publikationen erbringen. Da besteht kein notwendiger Zusammenhang. -- Glaube ich an den hier von Reuß vertretenen Wissenschaftsdarwinismus: Qualität wird gedruckt? Nein, ich halte das für eine zynische Sicht. Ich kenne einige bestens bewertete Dissertationen, die allein darum auf dem Hochschulschriftenserver landeten, weil die Autoren das Geld für Druckkostenzuschüsse nicht aufbringen wollten und nicht die Geduld hatten, auf die Entscheidung von VG Wort oder DFG oder Boehringer Ingelheim oder eine der anderen Fördereinrichtungen zu warten. Die Veröffentlichung auf dem Hochschulschriftenserver hingegen kostet den Verfasser in der Regel nichts.

  • OA versteckt die „gesamtgesellschaftlichen Kosten“, die viel höher sind als angenommen. Beleg 1: Die Uni Yale hat die Unterstützung des OA-Verlags Biomed Central eingestellt, weil ihnen die Publikationskosten für die Autoren zu hoch sind. Beleg 2: OA basiert darauf, dass „öffentlich sichtbare Kosten (Zeitschriftenabonnements, Bücherkäufe, kurz: Außenweltbeziehungen)“ durch „unsichtbare (immanente, komplett durch Steuermittel beglichen) verwandelt“. Gemeint sind: „Server, Eingabegeräte, Bildschirme und tariflich bezahlte Angestellte“, die „laufend beträchtliche Gelder verschlingen“.
Zum 1. Beleg: Der Fall Yale
Reuß verweist hier auf eine in seiner eigenen Zeitschrift erschienenen Text vom nicht gerade als neutralen Beobachter ausgewiesenen Konstanzer Bibliothekar Uwe Jochum. Der ist, sagt Reuß, „den Dingen auf den Grund“ gegangen in einem Beitrag über Nationallizenzen, und hat „erstaunliches“ festgestellt. Was kann das sein, dieses Erstaunliche? Dass die Uni Yale ihren Angehörigen die Publikation beim OA-Verlag BioMed Central nicht mehr bezahlt, weil sie dafür im Jahr 2005 4648 Dollar, im Jahr 2007 aber schon 64.000 Dollar hätten zahlen müssen, was immerhin, weiß Reuß, „den Abonnementkosten von rund vierzehn biomedizinischen Fachzeitschriften entspricht“.
Was ich hier wiedergegeben habe, rundet sich nicht zum Argument, ganz egal, wie man es dreht und wendet. Hier fehlen z.B. die Zahlen, wieviele Yale-Autoren in den entsprechenden Jahren überhaupt bei Biomed Central veröffentlicht haben. Denn was bei Reuß aussieht wie „explodierende Kosten“, d.h. mehr Geld für gleichbleibende Leistung, ist in Wirklichkeit mehr Geld für mehr Leistung. Ohnehin lohnt ein Blick auf die Antwort von Biomed Central und der Vergleich mit den von anderen Verlagen erhobenen Gebüren.
Ohnehin verfehlt dieser Blick die „gesamtgesellschaftlichen Kosten“. Denn hier sollten nicht die Abonnementkosten einer Institution mit den Gebühren verglichen werden, die dieselbe Institution zahlt. Sondern die Gebühren dieser einen Institution und aller anderen müssen verrechnet werden mit den Abonnementkosten dieser Institution und aller anderen. OA heißt, dass es zugänglich für alle ist. Niemand zahlt mehr das Abo für BioMed Central.

Zum 2. Beleg: Versteckte Kosten
Ich muss gestehen, dass ich Reußens Argumentation da nicht ganz verstanden habe. Aber ich nehme an, dass er meint, OA koste dann zwar keine Abo-Gebühren mehr, aber dafür müssten die Institutionen, die sonst die Abos bezahlten, nun Geld für Hilfskräfte und Technik ausgeben, um den Internetzugang zu haben und um selbst als OA-Verlag (Hochschulschriftenserver) aufzutreten.
Hier nimmt Reuß das zentrale OA-Argument nicht zur Kenntnis: In der gegenwärtigen Publikationspraxis bezahlt die Gesellschaft die Forschung doppelt. Sie zahlt, wenn staatlich bestallte Wissenschaftler an staatlichen Unis und in staatlichen Forschungseinrichtungen in staatlichen Laboren und Büros Forschungsergebnisse produzieren, und sie zahlt dann noch einmal, um diese Forschungsergebnisse, die die Wissenschaftler in der Regel kostenfrei Verlagen überlassen (wenn sie nicht sogar für die Veröffentlichung bezahlen), in Form der in Verlagen produzierten Veröffentlichungen zurückzukaufen. Der Gedanke liegt doch auf der Hand, dass Geld gespart wird, wenn die Gesellschaft nur einmal zahlt und sich um die Veröffentlichung selbst kümmert!
Und auch sonst: Auf dem Hochschulschriftenserver der UB Erlangen-Nürnberg wurden 2007 165 Dissertationen veröffentlicht. Nehmen wir mal an, die wären alle gedruckt worden, mit einem Druckkostenzuschuss der Autoren, wie es üblich ist. Kalkulieren wir vorsichtig mit 500,- € pro Stück (4.000,- €, wie ich es von einigen der oben genannten Verlage schon gehört habe). Dann hat die Veröffentlichung auf dem Schriftenserver 82.500,- € gespart: nicht der Uni, aber der „Gesamtgesellschaft“. Demgegenüber stehen die Ausgaben für den Betrieb des Servers und der Diplomkraft, die die Autoren mit einem Teil ihrer Arbeitszeit betreut. Es ist leicht auszubuchstabieren, was billiger ist für die Gesellschaft!

(Update 19.2.) Antwort von Gudrun Gersmann auf Reuß' Artikel in der FAZ, zu lesen bei Archivalia.

(Update 18.8.09) Gerade entdeckt, dass es einen "Infobrief" über "Das für und Wider der urheberrechtlichen Diskussion im Zusammenhang mit dem Heidelberger Appell" des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages gibt, den Roger Cloes und Christopher Schappert verfassten. Hier das pdf: http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2009/heidelbergerappell.pdf. Wer bis zum Literaturverzeichnis liest, wird feststellen können, dass dort dieser Eintrag und Teil 2 zusammen 4 mal angeführt werden -- allerdings unter dem Namen von "Gudrun Gersmann"! Warum nur? Ist doch nicht so, dass ich meinen eigenen Namen versteckt hätte?

Wie würdigt man ästhetisch eine Landschaft?

Normalerweise sind ästhetische Werke nicht so ausdrücklich empfehlend. Daher bin ich schon erstaunt, wenn ein Werk zur Umweltästhetik mit dem Kapitel endet "What is the correct way to aethetically appreciate landscapes?" So nämlich Allen Carlson: Nature and Landscape : an introduction to environmental aesthetics. New York : Columbia UP, 2009, 106-128. Seine Antwort zielt darauf, den "Landscape relativism" der Postmoderne zu vermeiden und stattdessen die Aufmerksamkeit zu richten auf "form, common knowledge, science, history, contemporary use, myth, symbol and art".

Verwirrende Sacherschließung

Hier, so sieht ein Datensatz im Bayerischen Aleph-Verbundsystem aus, den ich gerade erschließe:

Grün markiert ist die Sacherschließung aus den englischen Fremddaten, womöglich Library of Congress. Rot meine. Wenn man nämlich den Aleph-Index der Schlagworte aufblättert, findet man, dass es zwei Alcibiadesse gibt, die beide dem Corpus Platonicum zugehören, wobei die Echtheit des ersten umstritten sei und die des zweiten nicht: der sei unstrittig falsch. Wie kommen die Kollegen auf Alcibiades 2? Das Inhaltsverzeichnis des Buches sagt nämlich, es ginge um den Alcibiades 1. Könnte natürlich sein, dass sich die Benennungsweisen unterscheiden, und dass in den USA der Alc2 Alc1 genannt wird und umgekehrt. Nur diskutiert das Werk auch die Frage der Echtheit, was mir auch nur zum Status "umstritten" zu passen scheint. Der Autor ist übrigens der Meinung, dass mehr für die Echtheit als dagegen spricht, auch wenn sich das nicht endgültig entscheiden lassen wird. Ohnehin findet er aber, dass der Dialog Aufmerksamkeit wegen seines philosophischen Gehalts verdient, ganz unabhängig davon, aus welcher Feder er stammt. (Feder? Schrieb Platon mit einer Feder?)

09 Februar 2009

Die bereuende Magdalena

Maria Maistrini hat einen Aufsatzband veröffentlicht, Filosofia, verità, felicità (Rom: Aracne, 2008). Besonders gefällt mir das ausgesuchte Titelbild:

Mit welcher Gedankenverlorenheit das Mädchen den Schädel auf dem Schoß hält und sinnend in die Kerze blickt!

Der Umschlag sagt, dass dies ein Bild von Georges de la Tour ist, "Maddalena penitente", die büßende Magdalena. Spannend finde ich, dass der Maler dasselbe Motiv noch mindestens zweimal gemalt hat:


Schade, dass ich nicht weiß, in welcher Reihenfolge, die Bilder entstanden sind. Mir gefällt es zu denken, dass für den Maler das Motiv immer dunkler wurde.

Zeigt das Bild "Philosophie, Wahrheit, Glück"? Da der Titel des Bildes sagt, dass wir hier Buße sehen, lässt das wohl darauf schließen, dass der Weg zum Glück und zur Wahrheit über die Buße führt...

Informationsplattform Open Access: Philosophie

Die Plattform open-access.net gibt es schon länger, aber die Philosophie-Seiten sind recht jung. Zitat:
Trotz vereinzelter Ansätze spielt Open Access in weiten Teilen der akademischen Philosophie bislang keine bedeutende Rolle.
Wohl wahr, leider! Was es gibt an Ansätzen, steht auch da zu lesen. Falls Ihnen noch etwas bekannt ist, liebe Leser, her damit!

08 Februar 2009

Gedankenexperimente-Lexikon mit 13 neuen Experimenten

http://www.jg-eberhardt.de/philo_exp/
Nun 83 Gedankenexperimente von 62 Philosophen!

Dilthey in Bildern



Ein prächtiger Band, den der Alber-Verlag da vorgelegt hat: Guy van Kerckhoven, Hans-Ulrich Lessing und Axel Ossenkop zeigen uns Wilhelm Dilthey. Leben und Werk in Bildern. Laut Klappentext "alle verfügbaren Bilddokumente", ein Großteil davon "erstmals veröffentlicht". Die strengen Blicke der Personen, die noch weilenlang stillsitzen mussten für die Fotografie! Rudolf Hermann Lotze blickt distanziert-grimmig drein (Abb. 139), Hermann Ebbinghaus sieht visionär in die Ferne (Abb. 203); nur der geschätzte Friedrich Althoff guckt verschmitzt (Abb. 151). Briefe und Dokumente, Lebensorte, Freunde und Verwandte, und natürlich Dilthey selbst, mal jugendlich flott, mal altersweise.

Das junge Bild hier ist aus den Wikimedia Commons, das alte von den Webseiten der Dilthey-Forschungsstelle der RUB.

06 Februar 2009

Interview mit Luce Irigaray in TPM Online

Julian Baggini ist wirklich geduldig, finde ich, während er sich mit Irigaray unterhält. Und Irigaray scheint sich, nach dem Zeugnis ihrer Äußerungen, darauf verlegt zu haben, ihr Erbe zu verwalten: Kolloquium mit Leuten, die ihre Diss über sie schreiben; "according to me" als Einleitung in Sätze. Wenn ich Chomsky wäre, würde ich mich auch nicht auf eine Diskussion mit ihr darüber einlassen, ob es zwei verschiedene Universalgrammatiken gibt, eine für Männer und eine für Frauen.

Sacherschließung, heute: Gutes Leben = Hedonismus?

Dagmar Fenner hat ein Buch über das "Gute Leben" in der Reihe Grundthemen Philosophie bei de Gruyter geschrieben. Die DNB hat das Werk verschlagwortet mit "Hedonismus" (und sonst nix). Wie kommen die darauf? Philosophisch betrachtet ist der Hedonismus ja nur eine von vielen Antworten auf die Frage danach, wie sich gut leben lässt. Und schlägt man Fenners Werk auf, dann sieht man schon am Inhaltsverzeichnis, dass sie einen weiteren Begriff von Gutem Leben hat als den hedonistischen. Da die Sacherschließung der DNB an alle Verbünde ausgeliefert wird und, wie Klaus Haller in der Ausbildung meinte, "Normdatencharakter" hat ...
Na, für den BVB kann ich's korrigieren; mein Vorschlag ist: "Gutes Leben" (ja, das gibt es als Schlagwort!) und "Lebensführung / Philosophie".

05 Februar 2009

Briefe der Aufklärung im Volltext

Sehr eindrucksvoll, was Oxford University Press da zusammen mit der Uni Oxford auf die Beine gestellt hat: E-Enlightenment ist eine Volltextdatenbank der Korrespondenz von Personen der Aufklärung. Sie basiert auf kritischen gedruckte Editionen, soll in Zukunft aber auch um Dokumente ergänzt werden, die bisher nicht gedruckt erschlossen waren. Sie enthält den entsprechenden wissenschaftlichen Kommentarapparat. Die Suchfunktionen sind ordentlich; blättern kann man nach Personen oder Dokumenten. Erwartungsgemäß ist die Abdeckung besser im englischsprachigen Bereich: keine Briefe von Lichtenberg. Aber z.B. Christian Wolff, 4 Briefe an ihn. Neulich habe ich über das Zusammentreffen von Rousseau und Hume geschrieben -- hier sind die Briefe dazu enthalten. Wie umfangreich die erhaltene Korrespondenz von Voltaire ist, wusste ich gar nicht: 15708 Briefe von ihm, 3253 an ihn. Alles durchsuchbar im Volltext.

Leider ist das ganze nicht unbedingt billig für Institutionen...

04 Februar 2009

Oxford Handbook Philosophy of Mind

ist da -- und erstaunlicherweise sind zwei von drei Herausgebern deutsch! Sven Walter und Ansgar Beckermann sind aber ansonsten auch die einzigen deutschen Beiträger; Walter mit einem Kapitel über Epiphänomenalismus, Beckermann über "Property physicalism". (Der dritte Herausgeber ist Brian McLaughlin.)

Das Buch ist noch so neu, dass Oxford University Press es nicht geschafft hat, auf der Webseite der Philosophy Handbooks etwas mehr Information dazu anzubieten; dafür hier. Hier die Liste der Beiträge und Beiträger.
Sollte man haben.

03 Februar 2009

Philosophen wissen, wo ihr Handtuch ist

Zumindest die, die Thomas Buford kaufen. (Den Screenshot von Overstock habe ich nur gekürzt und verkleinert.)

02 Februar 2009

Logik im Alltag; Heute: Börsenverein und Urheberrecht

Der Börsenverein wirft der Kultusministerkonferenz einiges vor. Gerade ist bei Heise eine Meldung zu lesen, deren ersten Teil ich hier zitiere:

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Deutsche Hochschulverband kritisieren eine Ankündigung der Kultusministerkonferenz, laut der sie wissenschaftlichen Autoren und Verlagen auch weiterhin keine titelbezogene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke in den Intranets von Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen bezahlen will. Börsenverein-Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis meint, das Verhalten der Kultusministerkonferenz sei gesetzeswidrig und ein Skandal. "Weil die Länder nicht ausreichend Geld für Hochschulen und Bibliotheken bereitstellen wollen, sollen Urheber und Verlage enteignet werden." Der Geschäftsführer des Deutschen Hochschulverbandes, Michael Hartmer, fragt: "Welcher qualifizierte Wissenschaftler wird künftig noch Lehrbücher schreiben und wer diese verlegen?"
Interessant finde ich, dass die beiden Zitierten Hartmer und Skipis beide implizit behaupten, dass sich etwas zum Schlechten verändert: xy soll enteignet werden; künftig findet sich keiner mehr. Die Ankündigung der Kultusministerkonferenz bezieht sich aber offenbar darauf, dass sich nichts ändert.
Richtig ist, dass es da die Vereinbarung gab, die (erlaubte) Verwendung von Werken in Intranets solle geprüft werden. Diese Vereinbarung wurde offenbar ohne eine Vorstellung darüber abgeschlossen, wie denn eine solche Prüfung stattfinden könnte; die Ankündigung der Kultusministerkonferenz reflektiert sicher auch die Einsicht, dass eine solche Prüfung schlechterdings nicht mit vertretbarem Aufwand möglich ist. Das ist andererseits schon schade, weil so auch der KMK Zahlen fehlen.
Richtig ist auch, dass die Länder zu wenig Geld für Hochschulen und Bibliotheken bereitstellen. Allerdings ist sicher nicht richtig, dass Urheber und Verlage enteignet werden sollen, weil das so ist. Was für ein merkwürdiger Begründungszusammenhang! (Kann man überhaupt seiner Rechte "enteignet" werden?)
Ist es eine "Enteignung", wenn ein geschütztes Werk im gesetzlich umrissenen Rahmen im Intranet bereitgestellt wird? Oder ist das bloß die elektronische Form der Kopierordner in den Seminarapparaten? Ach ja, richtig: Kopierordner haben durch die Kopierabgabe auf die Geräte der VG Wort (und damit auch den Urhebern) mehr Geld verschafft.
Hhm, wo habe ich das gerade gelesen, dass die freie Veröffentlichung im Internet zum verstärkten Absatz des normalen Produkts geführt hat?

Elektronische Jaspers-Zeitschrift "Existenz"

Scheint in der deutschen Bibliothekarischen Welt unbekannt zu sein, die Zeitschrift der Nordamerikanischen Jaspers-Gesellschaft namens Existenz. Für Deutschland ist Andreas Cesana zuständig.
Habe sie der ZDB, EZB und DOAJ bekanntgegeben.

01 Februar 2009

David Chalmers und David Bourget machen der Philosophie ein Geschenk

Chalmers ist sicher einer der bekanntesten australischen Philosophen, und das liegt nicht zuletzt an seiner beeindruckenden Online-Aktivität. Nun hat er dem ganzen die Krone aufgesetzt mit http://PhilPapers.org. Das ist eine sehr umfangreiche frei zugängliche Datenbank, die online erreichbare Forschungspapiere, vor allem aus Zeitschriften, aber auch Preprints auf Servern etc., recherchierbar macht. Federführend dabei ein Doktorand von Chalmers, David Bourget, der sich um die Programmierung gekümmert hat.
Philpapers.org ist daher so gut zu nutzen, weil "online" hier großzügig definiert ist: auch Google books z.B. sind online. In der ersten Woche der Veröffentlichung sind schon über 180.000 Nachweise zu recherchieren! Philosoph(inn)en können hier übrigens auch ihre eigenen Papiere ablegen, wenn sie wollen.

Ich muss das noch eine Weile ausprobieren. Die einzige Beschränkung, die mir gleich anfangs aufgefallen ist, ist die Fixierung auf die englischsprachige Welt. Sieht daher so aus, als könnten wir mit Sophikon dazu ein Gegengewicht werden.

[Update 5.2.] Die Software, mit der philpapers auf die Beine gestellt ist, wurde von Bourget federführend mit entwickelt und nennt sich, Arbeitstitel, DIVRE, siehe hier: http://divre.org/.